MAN SCHAUT SCHON ÖFTER IN DEN HIMMEL ALS FRÜHER

MAN SCHAUT SCHON ÖFTER IN DEN HIMMEL ALS FRÜHER

Meinung. Ein Kommentar von Golli Marboe

Von Golli Marboe, Erstveröffentlichung: magazin KLASSIK Herbst 2019

Oft denk’ ich, er ist nur ausgegangen!

Bald wird er wieder nach Hause gelangen!

Der Tag ist schön! O sei nicht bang!

Er macht nur einen weiten Gang!

(Kindertoten Lieder)

Diese Worte klingen anders, wenn man ein Kind tatsächlich verloren – besonders brutal, wenn sich der eigene Sohn das Leben genommen hat.

Es gibt kein größeres Scheitern. Es gibt kein traurigeres Ereignis.

Musik gilt neben Sport als eine jener Methoden, die Menschen mit der Neigung zu psychotischen Schüben helfen können, ein „normales“ Leben zu führen. Ein Leben in dem man dann Kraft genug hat, die Hoffnung im Tun zu erkennen.

Unser Bub hatte immer einen Kopfhörer um den Hals. War das ein Schutz? Waren die Kopfhörer eine Art Helm? Eine intuitive Methode, um sich vom Leben und den Menschen rundherum nicht irritieren zu lassen und der eigenen Neigung zur Depression damit möglichst keinen Raum zu geben.

Tobias war sportlich, er war musikalisch und er war in vielfältiger Art künstlerisch tätig. Er hat weder Jus noch Wirtschaft oder Medizin studiert. Er hatte keinen typischen Weg gewählt, sondern in Bildern, in Texten, mit Designs von Alltagsgegenständen und in Tracks seine Gedanken für die Welt formuliert.

Damit aber außerhalb seiner Familie und einiger enger Freunde kaum reüssiert.

Das machte ihn traurig. Er zweifelte an sich. Zunächst kam wohl die Depression. Dann eine große Einsamkeit. Er suchte Gründe und in einem schleichenden Prozess dann auch Schuldige. Irgendwann fühlte er sich beobachtet und bedroht.

Bis die Sehnsucht nach innerer Ruhe zum Unfassbaren führte.

Jetzt schauen wir tatsächlich öfter als früher nach oben. Suchen ein Zeichen. Fragen uns, wie es ihm nach seinem weiten Gang nun geht. Wir nehmen uns ein Beispiel an seinen 29 Jahren voller Kreativität. Und auch wir bemühen uns mit Sport und mit Musik das Leben ohne Tobias halbwegs im Griff zu haben. Ganz besonders, wenn wir Texte und Lieder von ihm hören:

Komm mit mir, folge mir ins All!

Hier gibt es keine Wolken, nur die Sonne, die strahlt.

Hier ist es zeitlos, es gibt keinen, der dir die Kraft noch raubt.

In meinem Raumschiff und mir, dem einsamen Astronaut.

(Tobias Marboe)

Der Autor war viele Jahre TV-Produzent und ist heute u. a. Obmann des Vereins VsUM (Vereins zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien)

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Eine Notiz zum „Welttag der Suizidprävention" am 10.Sep.2019 von Golli Marboe

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Gibt es ein größeres Scheitern als den Selbstmord des eigenen Kindes?