Eine Notiz zum „Welttag der Suizidprävention" am 10.Sep.2019 von Golli Marboe
Eine Notiz zum „Welttag der Suizidprävention" am 10. Sep. 2019 von Golli Marboe
Statement zur Pressekonferenz am "Welttag der Suizidprävention 2019" von Golli Marboe, Erstveröffentlichung: dioezese-linz.at am 09. September 2019
Am 3. August 2019 war bzw. wäre der dreißigste Geburtstag unseres Sohnes Tobias gewesen. Am 26. Dezember 2019 wird sein erster Todestag sein. Es ist wider die Natur vom eigenen Kind nicht nur den Geburts- sondern auch den Todestag zu kennen. Wenige Stunden vor seinem Tod hat mein Sohn Tobias zu mir gesagt: „Papa schau drauf, dass niemand mehr so traurig wird, wie ich das geworden bin.“ Diesen Gedanken habe ich damals falsch gedeutet. Ich dachte, der Bub öffnet sich, will sich austauschen und reden. Reden können Tobias und ich nicht mehr miteinander. Aber ich kann zumindest erzählen und berichten. Mit Beiträgen in verschiedenen Medien. Denn Medien sind ein integraler Bestandteil unseres Alltags. Dementsprechend sollte man derart wesentliche Themen wie Suizid-Prävention einerseits und Begleitung von Hinterbliebenen andererseits keinesfalls ausblenden. Natürlich entscheidet die Qualität der Berichterstattung und der Kommentare. Aber die heute mehrheitlich gelebte Sorge vor dem „Werther Effekt“ führt wohl eher zu Einsamkeit und zu Isolation, als zu Prävention oder zu Trost durch Solidarität. Denn es gilt doch zumindest diese zwei wesentlichen Aspekte rund um derartige Katastrophen zu beachten:
Vordenken statt nachtrauern:
Laien wissen recht wenig über Anzeichen und mögliche Auswirkungen von sich abzeichnenden psychotischen Schüben. Weite Kreise der Bevölkerung stigmatisieren nach wie vor eine regelmäßige aber möglicherweise eben das Leben stabilisierende Einnahme von Medikamenten. Die Suche nach Orientierung - in dieser Zeit des Materialismus - ist nicht einfach: Wertschätzung erfährt man durch Geld. Die Wertschätzung durch Immaterielles scheint weniger zu gelten. Ein offener Diskurs darüber mag wohl die größte Chance der Prävention darstellen. Also statt den „Werthereffekt" zu pflegen, sollten wir doch eher den „Papagenoeffekt" in die Welt tragen.
Keine Sentimentalität, sondern Solidarität:
Nachbearbeitung für und mit Hinterbliebenen scheitert häufig an der Sprachlosigkeit der Umwelt, weil weite Teile der Bevölkerung den Tod und die Trauer eben nicht als Teil des Lebens verstehen (möchten). Die Hinterbliebenen empfinden dadurch ein weiteres Mal Scham: indem sie andere auch noch in Verlegenheit und zur Sprachlosigkeit bringen. Und so entstehen noch mehr Schuldgefühle. Stattdessen wäre Solidarität für Hinterbliebene nötig. Wenn man mit seinen Gedanken alleine bleibt, dann werden die Gedanken belastender und die Selbstzweifel größer. Dementsprechend wichtig scheint ein offener Dialog über Trauer, Schuld, Einsamkeit und den Tod.
In einer Welt mit Smartphones, Podcasts und Bewegtbildern wirkt es absurd, die Auseinandersetzung mit Suiziden den Boulevardmedien oder den Verschwörungstheoretikern in den sozialen Netzwerken zu überlassen. Qualitäts- und öffentlich-rechtliche Medien müssen sich dieser Themen annehmen und den Diskurs in die Gesellschaft tragen. Die tatsächliche Themenführerschaft liegt in Österreich immer noch beim ORF und den Qualitätszeitungen. Diese Medien müssen der Aufgeregtheit und der Gereiztheit von Gratiszeitungen, privaten elektronischen Medien und zweifelhaften Plattformen im Netz einen entsprechend fundierten Qualitätsjournalismus gegenüberstellen!
Golli Marboe, Vater von vier Kindern, freier Journalist und Vortragender, Obmann von VsUM (Verein zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien) / www.vsum.tv