Der ORF in Zeiten der Covid Pandemie

Der ORF in Zeiten der Covid Pandemie

Blogeintrag von Golli Marboe, 17. November 2020

Artikel für die Medienimpulse

journals.univie.ac.at/index.php/mp

Der Öffentlich-rechtliche Rundfunk hat in Zeiten einer Pandemie zwei Aufgaben zu erfüllen:

einerseits die Bevölkerung von den Maßnahmen der Regierung möglichst flächendeckend zu informieren.

Und darüber hinaus im Sinne eines journalistisch kritischen Mediums – also als die sogenannte „vierte Macht“ im Staat – die staatlichen Verordnungen kritisch zu hinterfragen.

So entsteht ein „Spagat“ zwischen Berichterstattung im Sinne der Regierung – der ORF als ein Medium, das sich in öffentlichem Besitz befindet – und andererseits der Aufgabe als kontrollierende demokratische Kraft.

Hierzu kann man zwischen den Tagen im März, rund um den Ausbruch der Pandemie und dem Herbst rund um den zweiten Lockdown große Unterschiede bemerken.

Im März 2020 wurden die Pressekonferenzen der Regierung beinahe so begleitet, als handle es sich um reine Verkündigung, die nicht in Frage zu stellen, sondern allenfalls erläuternd zu begleiten wäre.

Es gab von Regierungsseite außerdem eine Beschränkung auf zwei Journalistinnen pro Pressekonferenz. (es durften lediglich eine Vertretung des ORF und eine Person der APA (Austria Presse Agentur) an den Pressekonferenzen teilnehmen und Fragen stellen.

Alle anderen Medien, wie Zeitungen aus dem In- und Ausland, oder die Privat TV und Radiostationen mussten ihre Fragen im Vorfeld an diese beiden Journalistinnen übermitteln.

Das hat schon ORF intern zu einer fatalen Situation geführt: denn die hohe journalistische Qualität des ORF formuliert sich unter Anderem dadurch, dass das Medienhaus über unterschiedliche und voneinander unabhängige Redaktionen verfügt. Die Zeit im Bild eins wird von einem anderen Team verantwortet, als die ZIB 2 oder die Journale im Radio, die wieder von einer dritten unabhängigen Redaktion hergestellt werden.

Daraus ergeben sich für das Publikum schon von Seiten des ORF drei Blickwinkel, unterschiedliche Fragen, unterschiedliche Sichtweisen, etc.....und so wird der interessierte Bürger, die interessierte Bürgerin bereits in den Programmen des ORF im Sinne einer liberalen Demokratie mit drei verschiedenen Annäherungen an das gleiche Thema versorgt.

Diese journalistische Vielfalt wird dann nochmals ergänzt und erweitert durch die Qualitätszeitungen, den Boulevard und die privaten elektronischen oder inzwischen auch digitalen Anbieter.

Im März aber da hatte also auch der ORF nur eine „Quelle“ und eben leider keine drei Fragestellerinnen.

Die Berichterstattung war dementsprechend gleichgeschaltet.

Die Regierung startete parallel zu den Lockdown Maßnahmen außerdem zusammen mit dem Roten Kreuz die Aktion „Schau auf Dich, Schau auf mich“.

Diese Kampagne – übrigens von der gleichen Werbeagentur konzipiert, wie die letzten Wahlkämpfe des Bundeskanzlers – wurde im ORF gratis ausgestrahlt und mit „High Rotation“ programmiert

Und diese Kampagne wurde außerdem in allen privat finanzierten Medien gegen Buchungsgebühren geschaltet.

Die privaten TV Sender, die Zeitungen und Magazine hatten also in Zeiten der Pandemie einen durchaus attraktiven und lukrativen Werbekunden mit dem Roten Kreuz, das mit Mitteln der Bundesregierung die Kampagne „Schau auf Dich, schau auf mich“ großflächig schaltete.

Hat man sich damit auch eine wohlwollende Presseberichterstattung erkauft? (dazu ein Anhang: Artikel aus der Wiener Zeitung vom 28.05.2020: www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2062295-Warum-eigentlich-nicht-gleich-die-Familie-Putz.html)

Mit den Übertragungen von Pressekonferenzen, der Einladungspolitik der Regierung zu diesen Veranstaltungen und in Kombination mit der omnipräsenten Kampagne „Schau auf Dich, schau auf mich“ hatte die Regierung also rund um den Ausbruch der „ersten Welle“ die Kontrolle im Sinne einer „message control“.

Es dauerte einige Wochen, einige sagen, es dauerte viel zu lang, bis sich dann die Berichterstattung des ORF wieder auf das Normalniveau der sonst üblichen Qualität eingependelt hatte.

Bis der ORF auch den Blick auf mögliche Nebenwirkungen der Pandemie, abgesehen von virologischen Fragen im Programmselbstverständnis wiederentdeckte. Es gibt aber auch zwei konkrete „best practice“ Beispiele des ORF:

Die Arbeit und die Qualität der Fachredaktionen:

insbesondere Günther Mayr (der.orf.at/unternehmen/who-is-who/tv/mayr100.html) erlangte durch seine Kompetenz und die konkreten Sprachbilder die er zur Übersetzung komplexer Fragestellungen angeboten hat, große Popularität. Beinahe anachronistisch wurde in diesen Tagen also ein „alter weißer Mann“ zum Popstar der Nachrichten.

Es hat sich für den ORF gerade in diesen Tagen ausgezahlt eine eigene Fachredaktion „Wissenschaft“ zu besitzen.

Andere TV Stationen, Zeitungen, Redaktionen, andere Verlagshäuser mussten zunächst einmal nach Expertinnen und Experten suchen, mussten viel länger und aufwendiger recherchieren, bevor sie ihre Analysen und Kommentare zur Sache liefern konnten.

Günther Mayr war von Anfang an „im Thema“ und in der Sache offensichtlich „up to date“.

Eine zweite Initiative des ORF sei positiv erwähnt und unterstrichen: die von Fanny Stapf moderierte „Freistunde“ auf ORF 1.

Da die Schulen geschlossen wurden hat das Team rund um Lisa Totzauer in bemerkenswert kurzer Zeit eine zeitgemäße Form von „Schulfernsehen“ entwickelt.

Bestehend aus eigens für ein junges Publikum hergestellte Nachrichten: ZIB ZACK mit der früheren Mini ZIB vergleichbar.

Diese Art der „Kindernachrichten“ dient nicht nur der Kommunikation von Nachrichten an Kinder und Jugendliche, sondern erfüllt darüber hinaus auch einen wesentlichen Beitrag zur Information von Menschen, die sonst keine „News“ konsumieren.

Und gerade in Tagen einer Pandemie ist es enorm wichtig, in möglichst einfacher Sprache, komplexe Zusammenhänge und Hintergründe zu kommunizieren.

Kindernachrichten werden nachweislich in einem hohen Maße von Erwachsenen geschaut. So entgehen Eltern und Großeltern auch der einen oder anderen peinlichen Situation, wenn sie selbst in Erklärungsnot geraten, weil sie die Zusammenhänge der einen oder anderen Nachricht nicht verstehen.

Darüber hinaus fanden sich in der Freistunde sogenannte „Erklärfilme“.

Dieses sowohl im Internet auf Plattformen, wie You Tube gängige und populäre Kurzformat, das auch durch Sendungen, wie die Sendung mit der Maus, durchaus gelernt ist, fand hier in zeitgemäß gestalteter und grafisch attraktiv umgesetzter Form eine Renaissance im öffentlich rechtlichen Rundfunk.

Das dritte Element dieser moderierten Programmfläche waren Dokumentationen und Reportagen aus dem ORF Archiv, die man als Bildungsprogramme im modernen Sinn betrachten und einordnen kann. Von Universum History bis zur einen oder anderen Folge aus dem Schauplatz oder der Orientierung.

Auf der anderen Seite kam spätestens im April 2020 aber auch immer mehr Kritik an der Berichterstattung insbesondere an der Zeit im Bild eins auf.

Denn sowohl der Chefreporter Hans Bürger, als auch der Chefredakteur Matthias Schrom wirkten allzu oft eher wie Pressesprecher der türkisen Regierungsvertreter, denn als kritisch im Namen des Publikums hinterfragende Journalisten.

Es waren die Formate der Fachredaktionen, die dann auch im ORF für die Präsentation unterschiedlicher Blickwinkel auf Covid und die Folgen geboten haben: in Gesundheitsfragen zb. Meryns Sprechzimmer auf ORF III oder der Radiodoktor auf OE1

Der Report am Dienstag auf ORF 2 oder das „Call in“ Format Punkt eins auf OE1.

Denn inzwischen hat vor allem der Boulevard, also die Gratisblätter oder auch Servus TV mit dem Talk im Hangar immer mehr Raum für Verschwörungstheoretiker geboten.

Dementsprechend wichtig war die Wiederherstellung des ORF als seriöser Quelle.

Was macht eine seriöse Quelle aus:

Es werden Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet, um die Rezipientinnen zu ermächtigen eigene Positionen zu beziehen.

Der Eigentümer hat keine inhaltlichen oder wirtschaftlichen Eigeninteressen.

Die Würde der Betroffenen bleibt immer oberstes Gebot.

Das redaktionelle Selbstverständnis sollte lauten: Check, Doppelcheck und Recheck

Im Vergleich dazu bietet die Performance von Servus TV und den Diskussionen im Hangar von Red Bull unter der Moderation von Michael Fleischhacker eine Plattform, in der eben alle Thesen in nahezu gleichwertiger Form zu Wort kommen.

Qualitätsjournalismus soll aber nicht nur darstellen, sondern eben auch kuratieren.
Keine Verkündigung von Thesen, aber sehr wohl eine Assistenz, welche These man wie gewichten könnte.

Es sollte den Rezipientinnen also nichts vorenthalten, aber die Dinge auch nicht als gleich wichtig dargestellt werden.

Dieses Prinzip wird nun rund um den zweiten Lockdown vom ORF wesentlich sorgsamer gepflegt.

Und auch die Regierung scheint dazu gelernt zu haben: denn zu den aktuellen Pressekonferenzen sind inzwischen mehr Journalistinnen zugelassen.

Neben der ORF ZIB eins eben auch andere ORF Journalistinnen, Vertreter der Privatmedien, der Auslandspresse oder der anderen Qualitätszeitungen, die nun ihre eigenen Fragen stellen können.

Fragen stellen, die nicht im Vorhinein übermittelt werden müssen, sondern eben auch Fragen, die sich erst aus den Statements ergeben.

Es bleibt nämlich auch rund um die Pandemie, ob beim ersten oder rund um den zweiten Lockdown die wichtige Erkenntnis für Journalistinnen und Journalisten:

Es geht nicht um die Übermittlung von Antworten, es geht um die richtige Fragestellung.

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