Mein erster Vatertag ohne Tobias
Mein erster Vatertag ohne Tobias
„Hier gibt es keine Wolken, nur die Sonne, die strahlt“, tönt es aus den Lautsprechern: Wir hören die Stimme unseres Sohnes bei seiner eigenen Beerdigung.
Von Golli Marboe, Erstveröffentlichung: KirchenZeitung Diözese Linz am 06. Juni 2019
Bocca della Verità – eine künstlerische Bearbeitung von Tobias Marboe
TOBIAS MARBOE
Immer noch läuft es mir kalt über den Rücken, wenn ich daran denke. Die Erinnerung an Tobias kommt mehrmals täglich. Bei großen Fragen über den Sinn des Lebens genauso wie bei trivialen Kleinigkeiten, die man früher miteinander erlebt hat.
Anders. Muttertag, Vatertag … Wir haben diese Feste in der Familie in all den Jahren mit unseren Kindern immer eher schmunzelnd begangen. Aber heuer ist es ganz anders. Denn Tobias schickt keine Nachricht mehr wie „Hallo Pa, alles Gute zum Vatertag :-)“.
Statt darüber zu beraten, ob wir ein Fest wie den Vatertag überhaupt mit einem gemeinsamen Treffen begehen möchten, stellt sich diese Frage heuer nicht: Wir hatten Anfang des Jahres die Aufgabe, den Abschied unseres Sohnes zu gestalten.
Rituale helfen. Nicht ganz zwei Stunden nachdem sich unser 29-jähriger Bub das Leben genommen hatte, setzte sich Pater Nikolaus zu uns. Er hatte keine Antworten und er wollte auch keine Antworten geben. Ganz behutsam fragte er, ob wir überhaupt beten möchten in einem so unerklärlichen Moment.
Als wir dann „Gib ihm und allen Verstorbenen das ewige Leben ...“ gemeinsam sprachen, hatten diese Worte ein Gewicht wie natürlich noch nie zuvor. Das sonst so ritualisierte Rezitieren von Texten fühlte sich völlig anders an. Auch wenn man mit der Kirche in so vielen Dingen hadern mag, die ganze Sehnsucht, die in uns damals gesteckt hatte, wurde in diesem Augenblick gemeinsam ausgesprochen: „Das ewige Licht leuchte ihm. Herr, lass ihn ruhen in Frieden.“
Dieses Aufsagen von archaischen Worten, das half uns allen. Es erinnerte in einem ganz kleinen ersten Schritt daran, von der puren Verzweiflung – die nicht größer hätte sein können – zu einer potenziellen Hoffnung zu gelangen: Vielleicht ist das kein endgültiges Ende! Tobias war Künstler. Er schrieb Lieder, malte Bilder, kreierte Taschen, produzierte Filme und er verfasste Texte.
Diese seine Arbeit war dann auch unsere Orientierung für die schwierigen Wege, die wir bei der Beerdigung und der Seelenmesse zu gehen hatten: Statt einer Trauerrede in der Aufbahrungshalle baten wir jeden seiner Neffen, Nichten, Onkel, Cousins und Cousinen, einige Begriffe vorzutragen, die sie mit ihm verbinden würden. Diese Begriffe, die Tobias beschrieben, die hat dann unter Tränen seine Schwester auf jenem Altartuch ergänzt, das seine Mutter zu seiner Taufe für ihn seinerzeit, vor fast 30 Jahren, gestaltet hatte. So schloss sich ein Kreis.
JACK HAIJES
Flackernde Erinnerungen. Wir brachten dann statt des Friedensgrußes jene gelbbraunen, schmalen Kerzen zum Strahlen, die wir mit Tobias zusammen in Jerusalem gekauft und für einen besonderen Moment aufgehoben hatten. Diese vielen flackernden Erinnerungen an Tobias, das war die pure Meditation, das war das pure Erleben im Angesicht des Todes. Nie wieder werde ich, ohne daran erinnert zu sein, in ein Kerzenlicht schauen. Die Seelenmesse in der Krypta des Schottenstiftes war geprägt von den Worten jener Menschen, die ihn kannten: von Pater Nikolaus, von den Fürbitten seiner Geschwister und den Worten seiner Freunde. Keiner hatte Scheu zu weinen. Aber alle hatten Angst vor Sentimentalität. Wir wollten ja Tobias gerecht werden und nicht uns selbst bemitleiden. So wie beim Vatertag: an dem es mit den drei Geschwistern von Tobias heuer wohl ein Treffen geben wird.
Golli Marboe. Der Autor war viele Jahre TV-Produzent und ist heute unter anderem Obmann des Vereins VsUM (Verein zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien)