Wir sollten auch nach Corona Leben retten wollen!

Wir sollten auch nach Corona Leben retten wollen!

Blogeintrag von Golli Marboe, 05. April 2020

Oft hört man unsere Regierungsvertreter in diesen Tagen von den Bürgern als „Lebensretter“ sprechen.
Was wäre, wenn wir auch nach Corona dann einfach „Lebensretter“ bleiben?
Wir sollten auch nach Corona Leben retten wollen!
Zum Beispiel indem junge Menschen einen verpflichtenden Sozialdienst, statt der Wehrpflicht abzuleisten hätten.
Junge Frauen und Männer erwerben damit nicht nur medizinische Grundkompetenzen und Handgriffe für Notfälle, sondern gewinnen vor allem an Sozialkompetenz durch ein halbes Jahr mit Begegnungen zu Menschen aus allen Milieus und Schichten. Irgendwie klingt das doch nach Lebensretter.

Oder indem wir Menschen Ängste zu nehmen versuchen!

Bspw. indem wir an einer Gesellschaft arbeiten, die weniger an Depressionen, an Ängsten oder gar an Suiziden zu leiden hat.
In Österreich sterben drei Mal so viele Menschen an Suizid (ca. 1.200), als im Autoverkehr.
Mit großer Wahrscheinlichkeit werden in Österreich weniger Menschen an den Folgen von Covid 19 sterben als durch Suizid in nur einem Jahr.
Eine andere Art über Depression und Suizid zu kommunizieren kann Leben retten: „Papageno-Effekt“ statt „Werther-Effekt“.
Falls Sie in Ihrem Umfeld einen Menschen kennen, dem es seelisch nicht gut geht, sprechen sie diese Person direkt darauf an. Sie würden jemanden, der eine offene blutende Wunde hat doch auch umgehend verbinden.
Wieso lassen wir dann Menschen mit psychischen Problemen so oft alleine und unversorgt?
Papageno, der sich aus Verzweiflung in der Zauberflöte das Leben nehmen möchte, wird von den drei Jungen gerettet, denn Sie vermitteln ihm Hoffnung und eine Perspektive für die Zeit nach der Krise.
Und wir Journalisten müssen das genauso machen und rund um Suizide keinesfalls voyeuristisch beschreiben, wie oder wo sich jemand das Leben genommen hat (denn das könnte zu Nachahmungen führen – zum sogenannten „Werther – Effekt“); sondern wir sollten beschreiben, was im Leben dieses Menschen alles geleistet wurde, wie nun auch das Umfeld des Verstorbenen betroffen ist und vielleicht – ohne sentimental zu sein – was wohl noch hätte kommen können. Denn auch eine positive Perspektive wird nachgeahmt, und das nennt man dann: „Papageno-Effekt“.
Eine der Hauptursachen für seelische Not stellt materielle Ungewissheit dar.
Könnte eine christlich, sozial und liberal geprägte Gesellschaft diesen „Motor“ für Depression und daraus entstehende Suizide nicht einfach beseitigen?
Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Alle!
Jede Österreicherin und jeder Österreicher erhalten monatlich den gleichen Betrag vom Staat überwiesen. Dieses Geld muss für Wohnen und Essen genug sein. Damit wäre Altersarmut genauso bekämpft, wie die Ungerechtigkeit, dass Hausfrauen, die ihre Kinder erziehen oder pflegende Angehörige bisher weder Geld noch Versicherung vom Staat erhalten. Aber warum eigentlich gelten nur jene die einer bezahlten Arbeit nachgehen als anspruchsberechtigt?
In diesen Tagen erleben wir, wieviele Sonderbudgets und Sondergesetze wir benötigen, damit den Selbstständigen, der Landwirtschaft, den Unternehmen, den Künstlerinnen usw. geholfen werden kann. Ungeheure Mittel werden dafür als Schulden aufgenommen, die uns noch lange belasten werden.
Warum suchen wir nicht nach einem System, bei dem wir von vorne herein anders mit den Mitteln umgehen, die dem Staat und damit ja allen Bürgerinnen und Bürgern gehören?
Es könnte eine Gesellschaft entstehen, in die dann jeder seine persönlichen Talente in die Gemeinschaft einbringen kann. Bei der Wahl des Berufes würde man tatsächlich den eigenen Leidenschaften und Interessen folgen. Der eine möchte sich mit Schmetterlingen beschäftigen, die andere mit Chirurgie, ein dritter mit Kunst.
By the way: mit derartigen Zukunftsperspektiven könnten auch im Schulsystem endlich die Talente jedes Kindes gefördert werden, statt – wie seit Zeiten von Maria Theresia – ein mehr oder weniger kollektivistisches und für alle gleiches Benotungs- und Bildungssystem. Als ob auch nur ein Mensch, wie der andere wäre.
Aber jeder Mensch ist unverwechselbar. Jeder Mensch ist gleich an Würde.
Wie soll das aber finanziert werden?
Einerseits durch das ersatzlose Streichen sämtlicher staatlicher Arbeitslosengelder, Kindergelder, Sozialhilfen oder Pensionen.
Auch durch das Auflösen der gesamten zur Auszahlung dieser Mittel nötigen Nomenklatura.
Der Staat sollte in Zukunft kein „Gönner“ mehr sein, der den „Untergebenen“ in almosenartiger Form etwas zuteil werden lässt.
Nein – Der Staat besteht aus allen Bürgerinnen und Bürgern und nicht nur aus den Fleißigen, oder den Erben, oder den Gesunden, oder den Brillenträgern, oder den kleiner gewachsenen oder den schönen oder den speziellen.......
Aber ganz bestimmt braucht es auch einen zweiten Schritt zur Finanzierung eines solchen Konzeptes zur Lebensrettung vieler:
Es braucht einen Paradigmenwechsel: das Credo an einen unbegrenzt hohen persönlichen Besitz müssen wir endlich hinter uns lassen.
Warum gehört einzelnen Menschen millionenfach mehr als anderen?
Und besonders unverständlich: wenn diese durch Zinsen und Spekulation immer mehr Geld verdienen.
Wo ist da die Leistung?

Alles was über einem gewissen Besitz hinausgeht sollte mit 100% versteuert werden und der Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens dienen. Und damit wir eine derartige „Korridor-Gesellschaft“ erleben, die einen solchen Paradigmenwechsel freiwillig und ohne blutige Revolution in Angriff nehmen möchte, brauchen wir eine entsprechende Medienbildung.
Denn nur wer die Relevanz einer Nachricht auf das eigene Leben hin richtig einzuordnen vermag wird in Zukunft bestehen können.

Bernhard Pörksen (Uni Tübingen) sagt, wir leben an der Schwelle von einer digitalen zu einer redaktionellen Gesellschaft. Dementsprechend müssen Kinder, wie Erwachsene eine vierte Kulturtechnik erwerben: nach Lesen, Schreiben und Rechnen den „Umgang mit Medien“.
Ein selbstbestimmter „Umgang mit Medien“ bedeutet nach eigenen Standpunkten zu suchen und eben nicht nur auf Antworten anderer zu warten, die man dann mehr oder weniger unkritisch als eigene Standpunkte auch übernimmt.

Könnten wir in Zukunft nicht gerne damit Leben retten, indem wir wieder lernen Fragen zu stellen? Ein wenig so, wie Kinder das tun, um die Welt besser verstehen zu lernen:
Ein Virus, wie Corona ist ein globales Problem, warum denken wir, dass wir diese Pandemie mit nationalen Gesetzen in den Griff bekommen?
Soll Fleisch in Zukunft genauso besteuert werden, wie Benzin? Wieso gibt es in der EU immer noch das Prinzip der Einstimmigkeit?
Warum können Frauen in der katholischen Kirche keine Priesterinnen werden?
Wieso ist das Leben eines unbegleiteten jugendlichen Flüchtlings an der griechisch türkischen EU Außengrenze soviel weniger wert, als das Leben eines Ischgl Touristen, der sich dort im Koma Saufen geübt hat?
Warum sollten wir weiterhin Produkte kaufen, die uns vermeintlich schöner oder jünger machen?
Weshalb gibt es keine europäische Medienplattform der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als Alternative zu Facebook, Google, TikTok oder Netflix, die nach europäischen Datenschutzrichtlinien funktioniert und die Daten der Userinnen und User eben nicht zu politischen Zwecken, wie der Wahl von Trump oder der Entscheidung für den Brexit missbraucht?

Schließlich werden alle diese Überlegungen in drei Fragen münden, die Kardinal König sein Leben lang als die Grundfragen der Menschheit formuliert hat:
Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist der Sinn meines Lebens?
Sollte nicht auch eine Gesellschaft in ihrem Tun und Selbstverständnis diesen drei Fragen folgen?
Und werden wir alle in den Tagen nach Corona die Minister Nehammer, Anschober und co bei anderen Themen als Corona daran erinnern, dass jeder von uns auch ohne „social distancing“ in Zukunft ein Lebensretter bleiben kann?

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Ich bin Städter, lebe in Wien und Sie werden mich auch nach Corona in Steinbach wohl nicht mehr sehen.

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Was man abseits der völlig gerechtfertigten Begeisterung für die Journalistinnen der Nachrichtensendungen sonst so über den ORF liest, stimmt nachdenklich!