94 Prozent der Lehrenden wünschen sich psychologische Begleitung im Berufsalltag
Von Gudrun Springer, 23. September 2025, 13:36 aus Der Standard
Pädagogen mangelt es stark an struktureller Unterstützung, wie eine Befragung im Zuge der Mental Health Days zeigt. Auch unter den Schülern steigt derzeit der Druck
Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich unter Druck. Die Themen Handysucht, Leistungsdruck und Mobbing beschäftigen sie am meisten. Notengebung, Zeitdruck und Eltern erleben sie als besonders stressig. Auf diese Ergebnisse kam eine Befragung von mehr als 2500 Pädagoginnen und Pädagogen in 91 Schulen in acht Bundesländern im Rahmen der Mental Health Days, die der Verein zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien des Journalisten und Medienmachers Golli Marboe organisiert. Zu dem Projekt für mentale Gesundheit für Schülerinnen und Schüler gehört auch immer ein Workshop für Lehrende.
Die Haupterkenntnis aus der Befragung ist, dass sich die Lehrenden mit den Problemen psychischer Natur und mit ihren Belastungen am Arbeitsplatz weitgehend alleingelassen fühlen. So gaben mehr als zwei Drittel der Befragten an, dass es an ihrer Schule keinen Leitfaden für psychische Krisen gibt – und zwar weder für Schülerinnen und Schüler in Krisen, noch für die Pädagoginnen und Pädagogen.
Auch in Sachen Prävention herrscht offenbar großer Aufholbedarf: 94 Prozent wünschen sich regelmäßige psychologische und psychotherapeutische Gespräche als Teil des Berufsalltags. Am häufigsten wurde "monatlich" genannt (960-mal), an zweiter Stelle "einmal im Semester" (857-mal). Zehn Prozent waren der Meinung, dass sie es "noch öfter" bräuchten. Gar nicht notwendig fänden dies nur knapp sechs Prozent.
Jeder Zweite hat privat Hilfe gesucht
71 Prozent der Befragten gaben an, im vergangenen Schuljahr keine Supervision gehabt zu haben. Den systematischen Austausch der Lehrenden untereinander (Intervision) hatten noch weniger Lehrende (81 Prozent "gar nicht"). Bereits die Hälfte aller befragten Pädagoginnen und Pädagogen hat privat psychotherapeutische oder psychologische Hilfe in Anspruch genommen. Der Großteil hatte damit positive Erfahrungen.
Die Befragung hat auch gezeigt, dass sich zwei Drittel der Lehrenden durch die Bildungsdirektion zu wenig unterstützt fühlen. Im Kollegenteam und von der Direktion fühlen sich hingegen zwei Drittel "ausreichend" bis "gut" unterstützt. Schuldirektor Michel Fleck sagte, er habe so viel zu organisieren, er wolle, aber könne gar nicht für das psychische Wohlbefinden seines Lehrteams da sein.
"Ein kontinuierliches Betreuungsnetz" für Pädagoginnen und Pädagogen, fordert Andrea Birbaumer, Obfrau der Gesellschaft kritischer Psychologen und Psychologinnen. Die Unterstützung durch die Schulpsychologie sei zu wenig. Jeder Euro, der in Prävention gesteckt werde, mache sich später mehrfach bezahlt.
Ab Schulanfang steigt der Druck bei Schülern
Auch die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die wegen psychischer Belastungen Hilfe suchen, steigt in den ersten Schulwochen bereits. Bei Rat auf Draht bemerke man – wie im Vorjahr – an einer steigenden Zahl der Anfragen zu Schulthemen den wachsenden Druck, fasst ein Sprecher zusammen. Offenbar hat sich die Zahl junger Menschen in akuten Krisen erhöht, denn einen größeren Andrang, der bis in den November zu beobachten sei, registriert auch Paul Plener, Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am AKH (Med-Uni Wien). Funktioniert etwas bei den für Kinder und Jugendliche zentralen Themen Schule und Ausbildung nicht, "kommt es eher zu krisenhaften Verläufen", sagte Plener der APA.
Insbesondere wegen Suizidgedanken bis hin zu Suizidversuchen kämen Jugendliche an seine Klinik. Die Zahl derer, die wegen eines sehr schlechten Ernährungszustands wegen Essstörungen vorstellig würden, steige ebenfalls. Insgesamt seien die Akutvorstellungen im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Krise um 80 Prozent gestiegen. Zwar habe es in den vergangenen Jahren einen Zuwachs der ambulanten Strukturen gegeben, vor allem in Wien, die Regelversorgung müsse aber ausgebaut werden.
Das sieht auch der Rechnungshof so. Er hatte Ende August in einem Bericht eine große psychiatrische Unterversorgung von Kindern und Jugendlichen in Österreich festgehalten; in mindestens zwölf der 32 Versorgungsregionen war das Gesundheitsministerium von einer mangelhaften ambulanten Versorgung ausgegangen. Die Bundesregierung hat zugesagt, das Projekt "Gesund aus der Krise" auszubauen, das unbürokratisch kostenlose Beratung und Therapiestunden anbietet. Allerdings ist das Kontingent derzeit ausgeschöpft und es gibt eine Warteliste. (Gudrun Springer, 23.9.2025)
Von Gudrun Springer, 23. September 2025, 13:36 aus Der Standard