Der ORF, sein Österreichbild und der Pausenfilm des Neujahrskonzertes

Der ORF, sein Österreichbild und der Pausenfilm des Neujahrskonzertes

Blogeintrag von Golli Marboe, 21. Jänner 2022

Die TV-Musikredaktion von ORF 2 bereitet sich das ganze Jahr mit großer Intensität, mit Engagement und in unzähligen Sitzungen auf den alljährlichen Höhepunkt und Quotenträchtigsten Sendeplatz dieser Abteilung, auf das Neujahrskonzert vor. Neben der Übertragung des Konzertes selbst, steht dabei auch immer die Frage im Raum: wie soll der Pausenfilm gestaltet sein?

Diese zwanzig Minuten – die dann auch von zahlreichen TV-Stationen rund um die Welt ausgestrahlt werden – beschreiben ein Bild von Österreich, idealerweise, wie wir uns eben in all unserer Vielfalt zeigen möchten.

Heuer, am 1.Januar 2022 ist dieser Pausenfilm vom Kameratechnik Pionier Georg Riha gestaltet worden. „...schwebende Bilder....ungesehene Perspektiven....unentdeckte Horizonte...“ so kann man auf der Homepage von Riha Film über dessen Filmverständnis lesen.

Es gibt bestimmt kaum einen Kameramann, der Flug- und Drohnenaufnahmen so gezielt zur richtigen Uhrzeit mit dem passenden Licht gestalten kann, wie er. Ein Ästhet.

Nun stellt sich aber alle Jahre wieder die Frage nach der Funktion dieses Pausenfilms, dieser „Visitenkarte“.
Soll in einem öffentlich-rechtlichen Medium denn die „Verpackung“ den Inhalt vergessen machen?
Soll ein Land wie Österreich lediglich über Bauwerke aus der Habsburgerzeit und über eindrucksvolle Landschaftsaufnahmen beschrieben sein?

Ist in einem Pausenfilm – der eine Konzertübertragung ergänzt, die mit Musik von Johann Strauss, einem Orchester, wie den Wiener Philharmonikern und aus einem Saal, wo es gefühlt keinen einzigen Quadratmillimeter zu erkennen gibt, der nicht goldfarben angemalt ist – kein Raum für andere Menschen, Orte und Aspekte, als jenes Bild, das möglicherweise die Mehrheitsgesellschaft für sich formuliert?

Hat das verantwortliche Redakteurinnen Team keine Sehnsucht nach einer möglichst vielfältigen Darstellung dieses Landes und seiner Bevölkerung? Müssen es verklärte Bilder einer Monarchie, statt lebendige Bilder einer demokratisch legitimierten Republik sein, die man ästhetisch eindrucksvoll überfliegt?

Besteht dieses Land nur aus Schlössern, beeindruckenden Wasserfällen und Gipfelkreuzen?

Gibt es in Österreich keine zeitgenössische Architektur; keine Orte, in denen diverses Leben pulsiert; keine Stadtschluchten, die durchaus unfertig, nicht perfekt, in Arbeit, vielleicht sogar schmutzig wirken?

Gibt es denn hier keine urbanen, zukunftsgewandten, oder vielleicht auch der Pop Kultur zugewandten Milieus, die sich nicht mehr über Monarchie, über Heimatverbundene Liebe zur Natur oder über Kitsch formulieren?

Muss denn auch der über den Drohnenbildern zu hörende Musikteppich – der so wie die ausgewählten Locations keine einzige „Ausgefranztheit“ oder Irritation zulässt – auf altbekanntes reduziert bleiben?

Haben jene ORF Journalistinnen, die diese Visitenkarte Österreichs verantworten, denn womöglich Bilder vor sich, die eher bei Servus TV laufen, als in einer Medieninstitution, die im eigenen Programmauftrag möglichst auch Minderheiten und die Vielfalt der Bürgerinnen zeigen möchte – eigentlich muss.

Welch eigenartiges Verständnis von „Kultur“, von „Schönheit“ wird da von jenen Redakteurinnen außerdem miterzählt? Redakteurinnen, die Teil der Kulturredaktion sind, die könnten das auch besser wissen.

Die könnten wissen, wie das war, als die Ästhetik der Propaganda diente, oder wie das war, als das Biedermeier nicht nur Idyll, sondern auch Überwachungsstaat gewesen ist.

Kulturredakteurinnen des ORF könnten Sehnsucht danach haben bei all der Walzerseligkeit am 1.Januar zu intervenieren, zu irritieren, uns wach zu machen, Fragen zu stellen, statt vermeintliche Antworten in noch so schönen Bildern zu verfestigen.

Das mag auch dem geschuldet sein, dass der Pausenfilm des ORF keine reine Eigenproduktion, sondern maßgeblich durch Mittel der Tourismus, bzw. Wirtschaftsförderungen der Bundesländer mitfinanziert wurde.

Also von jener Tourismusindustrie, die ihr Kulturverständnis nicht zuletzt in Apres-Schibars von Ischgl bis Kitzbühel alljährlich wieder zur Schau stellt; von jener Tourismuswerbung, die sich auch so gerne über ästhetisierte Hochglanz Flyer formuliert.

In einer derart gestalteten Visitenkarte von Österreich bleibt übrigens auch kein Platz für Behinderte, die wir aber doch gerade in solchen Quotenstarken Programmen ganz selbstverständlich die entsprechende Sichtbarkeit geben sollten!

ORF 2 braucht in etlichen Abteilungen mehr journalistische Qualität!

Damit meine ich keineswegs die klassischen Informationsformate, wie den „Report“, das „Hohe Haus“, die „Pressestunde“ oder die „Zeit im Bild“. Aber in Abteilungen, wie der Unterhaltung, dem Sport, oder eben auch in der TV-Musikabteilung von ORF 2, die den Pausenfilm des Neujahrskonzertes zu verantworten hat, wäre ein Engagement für ein zeitgemäßes europäisches Bild von Österreich und seinen Menschen, die Liebe zum journalistischen „audiatur et altera pars“ und vor allem zu weniger Ästhetisierung wünschenswert.

Ein Pausenfilm wie jener, der heuer am ersten Januar und inzwischen in Wiederholungen und Online abrufbar gelaufen ist, gibt wohl leider allen jenen recht, die das Selbstverständnis Österreichs mit einem Punschkrapfen vergleichen: außen rosa und innen eben (immer noch ziemlich) braun.

Golli Marboe, im Januar 2022

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