Angriff auf die Auntie

Angriff auf die Auntie

Premier Boris Johnson greift die vierte Gewalt im Vereinigten Königreich an. Oder: Was hat die BBC mit der geplanten Impflotterie zu tun? Ein Gastkommentar.

Von Golli Marboe, Erstveröffentlichung: Die Furche am 27. Jänner 2022

Boris Johnson muss ablenken. Die Negativschlagzeilen rund um Partybesuche in Corona-Lockdown-Zeiten schwächen sein Ansehen. Unter anderem spricht er daher auch wieder einmal über eine Reform der BBC-Finanzierung. Warum ein „Angriff“ auf die gerade in Großbritannien so etablierte vierte Macht im Staat?

Die BBC ist kein Staatssender. Diese Haltung fällt der BBC nun auf den Kopf: Rund um den „Brexit“ waren die Befürworter verärgert, weil sie meinten, zu wenig zu Wort zu kommen, und jene, die in der EU bleiben wollten, warfen derBBC vor, dass diese für einen Verbleib in der Gemeinschaft „kampagnisieren“ hätte müssen. Die Berichterstattung der BBC zielt aber eben darauf ab, die Rezipientinnen zu ermächtigen, eigene Standpunkte zu beziehen. Weder für die Positionen der gerade Regierenden, noch für die Opposition wird Partei ergriffen.

Auch bei uns wollten Sebastian Kurz und Heinz Christian Strache die Rolle des ORF neu definieren. Populistische Kräfte mögen keine journalistisch kuratierte Vielfalt – sie schätzen stattdessen „message control“.

Die BBC versteht sich jedenfalls als „sichere Quelle“. Was auf der Insel mit der dort üblichen Art von Boulevard-Journalismus besonders wichtig erscheint. Doch gerade ein Boulevard-Interview hat dem Image der BBC schwer geschadet. Denn das inzwischen legendäre TV Gespräch, in dem Lady Diana von einer „Ehe zu dritt“ sprach, kam wohl nur auf Grundlage gefälschter Unterlagen zustande. Damit wurde die Glaubwürdigkeit der vierten Macht im Staat auf Grund von „Seitenblicke-Journalismus“ nachhaltig beschädigt.

„ Denn mit dieser Impflotterie wäre die Distanz

des ORF zum Staat in Frage gestellt und die

journalistische Glaubwürdigkeit als

,sichere Quelle‘ nachhaltig beschädigt. “

Da wird dann viel zu schnell die Vorbildrolle übersehen, die der BBC iPlayer für ein junges Publikum in der digitalen Welt seit Jahren spielt, oder, dass es keinen TV-Produzenten mit mehr Expertise im Bereich der großen internationalen Dokumentationen gibt.

Was sollte der ORF daraus lernen? Abgesehen von weniger „Seitenblicken“ darf der ORF eben kein Handlanger der Regierung sein: Gerade die dieser Tage ins Spiel gebrachte Durchführung einer Impflotterie im Auftrag der Republik lässt daran aber Zweifel aufkommen.

Denn mit dieser Impflotterie wäre di Distanz des ORF zum Staat in Frage gestellt und die journalistische Glaubwürdigkeit als „sichere Quelle“ nachhaltig beschädigt. All jene, die von „Lügenpresse“ im Auftrag des Staates sprechen, die fühlten sich bestätigt. Hoffentlich hält der neue ORF Generaldirektor stand und verweigert sich den Begehrlichkeiten der Politik.

In solchem Licht wirkt der Angriff von Boris Johnson auf die BBC doch wie eine Auszeichnung für deren journalistische Unabhängigkeit. Eine Unabhängigkeit, die wir nicht zuletzt den ersten hundert Jahren der „Auntie“, wie die BBC als Familienmitglied der Briten liebevoll genannt wird, zu verdanken haben.

Der Autor ist Obmann des „Vereins zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien“ (VsUM) und Vertreter von Neos im ORF-Publikumsrat.

Zurück
Zurück

Wir müssen reden

Weiter
Weiter

Der ORF, sein Österreichbild und der Pausenfilm des Neujahrskonzertes