Anfrage: „Eingeschenkt – Bierkultur in Österreich”

Anfrage: „Eingeschenkt – Bierkultur in Österreich”

Blogeintrag von Golli Marboe, 05. Jänner 2022

Publikumsrat: Eingabe für den Beschwerdeausschuss und für die Tagesordnung des Qualitätsausschuss; „Eingeschenkt – Bierkultur in Österreich”

Liebe Kolleginnen und Kollegen des Beschwerde- und des Qualitätsausschusses,

In Österreich werden 5 % der Erwachsenen ab 15 Jahren als alkoholabhängig eingestuft (2,5 % der Frauen und 7,5 % der Männer). Das sind ungefähr 370.000 Menschen.(Quelle: Österreichische Dialogwoche Alkohol)

15 % der Alkoholkranken sterben durch Suizid. Die Lebenserwartung Alkoholkranker vermindert sich um 20 Jahre.

Im Jahr 2020 nahmen sich 1.068 Menschen, drei Personen täglich, in Österreich das Leben. Zum Vergleich: im Straßenverkehr gab es 338 Todesfälle. (Quelle: BMI)

Etliche Studien sprechen davon, dass in den Tagen der Pandemie nun psychische Probleme (wie uA Suchtkrankheiten) zugenommen haben. Insbesondere die Darstellung von Alkohol in den Medien, genauso wie die Sichtbarkeit von psychischen Problemen, stellt eine Herausforderung und Aufgabe für die Zukunft der Medien dar.
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Nun hat der ORF in den letzten Tagen einen Vierteiler zur Bierkultur in Österreich ausgestrahlt (siehe unten stehende OTS Aussendung).
In dieser vierteiligen Produktion – die redaktionell ORF seitig von den Redakteurinnen Daniela Wucha und Susanne Lauer begleitet wurde – ist es dem öffentlich- rechtlichen Rundfunk gelungen in diesen vier Filmen zu je 44 Minuten keinen einzigen Themenblock zu den Gefahren von Alkohol in die Filme zu integrieren. Allerdings werden in einer journalistischen unzulässig einseitigen Art unzählige Vorzüge und Qualitäten von Bier beschrieben.
Finanziert wurde die Produktion unter Anderen von „Bierland Österreich” oder auch von der Landwirtschaftskammer Wien.
Gerade wenn Interessensvereinigungen an der Finanzierung einer Produktion beteiligt sind, müsste der ORF doch aus seinem journalistischen Selbstverständnis und dem öffentlichen Auftrag heraus Sorge tragen, dass solche in den Weihnachtsferien prominent auf ORF 2 im Vorabend programmierten Sendungen nicht einseitig gestaltet sind.
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Warum wird kein einziges Mal in diesen vier Sendungen ein Verkehrsexperte zu Fragen von Alkohol im Verkehr interviewt?
Prof Musalek oder andere Expertinnen zur Alkoholkrankheit könnte man sich bei derart vielen Sendeminuten als Interviewpartner ebenso gut vorstellen? Vielleicht auch eine Polizistin, die von Zeltfesten berichtet, bei denen es zu Handgreiflichkeiten kommt?
Oder wie steht es um Gefahren rund um “Gewalt in der Familie” (siehe Femizid des sogenannten Bier-Wirtes)?
Wie sehen wir als Gesellschaft den Alkoholkonsum von Jugendlichen?
Und was wäre daran falsch Menschen zu Wort kommen zu lassen, die alkoholkrank sind?
Man könnte als öffentlich-rechtlicher Sender bei non fiktionalen Programmen in denen es um Drogen geht auch Kontaktnummern zu Hilfseinrichtungen für alkoholkranke bzw gefährdete Menschen einblenden. Nicht nur im Rahmen der Schlusstitel, sondern auch bei den ergänzenden Texten in der Mediathek.
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Aber für all das ist kein Platz in vier jeweils 44 minütigen Stücken, die der ORF ausstrahlt und redaktionell mitverantwortet.
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Wieso ist diese TV Reihe trotz redaktioneller Begleitung derart einseitig?
Welchen Einfluss auf die Gestaltung der Filme hatten die Finanzierungspartner aus der Alkoholindustrie?
Wie hoch war der Finanzierungsanteil von „Bierland Österreich”, der Landwirtschaftskammer Wien und anderer Einrichtungen mit expliziten Eigeninteressen? Darf der ORF mit solchen Einrichtungen überhaupt kooperieren ohne dies der allgemeinen Werbezeit zuzurechnen?
Warum wird ein Programm wie dieses nicht als Dauerwerbesendung markiert?
Welchen Werbewert stellen 4×44 Minuten auf ORF 2 für diese Sendeplätze dar?
Entspricht es den Richtlinien des ORF, dass in einem non-fiktionalen Format mit Alkohol nicht nur angestossen, sondern auch “im On” Alkohol getrunken wird? Gibt es inzwischen eine Richtlinie an Journalistinnen und Redakteurinnen im ORF, wie man mit dem Thema Alkohol umgehen sollte?
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In diesem Sinne bitte ich um eine kurze Bestätigung des Erhalts dieser Beschwerde und die Aufnahme auf die jeweiligen Tagesordnungen von Beschwerde- und Qualitätsausschuss.
Mit Dank und mit allen guten Wünschen ,
Ihr / Euer

Golli Marboe

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Hier noch einige weitere Informationen, falls vielleicht noch nicht bekannt:

Quelle: https://www.dialogwoche-alkohol.at/wissen/zahlen-fakten/

Zahlen & Fakten

1 Million Österreicherinnen und Österreicher haben ein problematisches Trinkverhalten

Nur rund eine/r von fünf Befragten lebt ohne Alkohol oder trinkt nicht mehr als maximal vier Mal pro Jahr. Der Durchschnittskonsum nimmt in Österreich mit dem Alter zu. Eine/r von fünf Menschen im Alter zwischen 50 und 60 Jahren trinkt in einem Ausmaß,
das eindeutig gesundheitsgefährdend ist – also mehr als zwei 1⁄4 Gläser Wein (Frauen) bzw. mehr als drei 0,5 Liter Bier (Männer) pro Tag.

In Österreich werden 5 % der erwachsenen Bevölkerung ab 15 Jahren als alkoholabhängig eingestuft (2,5 % der Frauen und 7,5 % der Männer). Das sind ungefähr 370.000 Menschen.

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