mental health days - Vorbild für Deutschland?
Von Golli Marboe, Nr. 157 aus infodienst - Das Magazin für kulturelle Bildung
Die mental health days sind in Österreich im September in ihr viertes Schuljahr gestartet. Dieses primär präventive Projekt für Schüler:innen, Lehrlinge, aber auch für Pädagog:innen und Erziehungsberechtigte, hat folgende Ziele: Es möchte einen Beitrag dazu leisten, das Thema mentale Gesundheit sichtbarer zu machen. Darüber hinaus soll es eine Anregung sein, mehr über Gefühle zu sprechen – vor allem mit der Idee, Gefühle und psychische Probleme voneinander unterscheiden zu können. Zudem soll es dazu beitragen, die vielen in Österreich existierenden Hilfseinrichtungen bekannter zu machen.
Der Entwicklung dieses Formats liegt die Beobachtung zu Grunde, dass wir erfreulicherweise in unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahren wesentlich häufiger über psychisches Wohlbefinden sprechen, als man das früher getan hat. Zu Recht wird nach mehr Kinder- und Jugendpsychiatrieplätzen gefragt, mehr Psychotherapie auf Krankenschein und eine Aufstockung der Schulpsycholog:innen gefordert – alles notwendige und richtige Forderungen, bei denen es allerdings mehr oder weniger um die Sanierung bereits existierender Probleme geht. Doch müssten wir nicht eigentlich vor allem darüber nachdenken und daran arbeiten, wie eine Gesellschaft aussehen sollte, in der weniger Menschen krank werden? Daher dieser Weg, Bildung und Prävention zusammenzubringen. Wenn man mehr über etwas weiß, hat man weniger Angst. Und wenn man auf eine Krise vorbereitet ist, kann man ihr besser begegnen, sowohl in Bezug auf Selbstfürsorge als auch in Situationen, in denen man sich Sorgen um einen nahestehenden Menschen macht.
Spätestens in der Pubertät sind junge Menschen auf der Suche nach Sinn und Orientierung in ihrem Leben. Das ist herausfordernd – und ganz besonders in Zeiten von Klimawandel, Inflation und Krieg. Dass während der Corona-Pandemie Schulen geschlossen wurden, war zudem ein Brandbeschleuniger für Krisen aller Art. Aber ob es vor Covid tatsächlich weniger psychische Probleme bei jungen Leuten gab als heute, kann man bezweifeln. Wir haben durch Corona gelernt, offener über Fragen des psychischen Wohlbefindens zu sprechen. Mit den mental health days haben wir in den drei Jahren ihres Bestehens in etwa 2.500 einzelnen Workshops an über 200 Schu en ungefähr 150.000 Lehrlinge und Schüler:innen erreicht. Für das neue Schuljahr haben sich mehr als 500 Schulen auf der Warteliste angemeldet. Mit den vorhandenen finanziellen Mitteln können wir derzeit nur einen Bruchteil davon auch bespielen. Die mental health days werden zwar von drei Ministerien, drei Bundesländern, von Licht ins Dunkel – Verein für Menschen mit Behinderungen und einigen privaten Sponsoren und Philantropen unterstützt. Diese Zuwendungen reichen aber bei weitem noch nicht aus.
Um in den genannten 500 Schulen die mental health days durchführen zu können, bräuchten wir etwas 1,5 Millionen Euro. Entgegen unseres ursprünglichen Plans, die mental health days den Schulen kostenlos anzubieten, freuen wir uns inzwischen auch über die Finanzierung durch Elternvereine, Absolventenverbände oder aus den Schulbudgets selbst.
Wir möchten im Jahr 2030 die mental health days in sämtlichen österreichischen Schulen der Sekundarstufe 1 und 2 durchführen. Das sind etwa 2.500 Schulen. Organisatorisch ist das gut zu machen, weil wir für unsere Fachvorträge mit drei großen Verbänden zusammenarbeiten: dem Verband der österreichischen Psychotherapeut:innen, dem Verband der österreichischen Psycholog:innen und dem Verband kritischer Psycholog:innen. Und die Anzahl der Mitglieder dieser drei Institutionen liegt bei etwa 3.000. Bei den mental health days selbst kommen die Expert:innen immer aus der Region, was uns eine gewisse lokale Anbindung in Sprache und persönlicher Kontaktaufnahme zu den Expert:innen ermöglicht.
Die mental health days laufen immer nach dem gleichen Muster ab. Wir nehmen Anfragen von Schulen gerne wahr, wenn wir mit unseren Modulen sämtliche Jahrgänge der Schüler:innen/Lehrlinge erreichen und nicht nur jene, »die es brauchen«. Darüber hinaus machen wir auch zur Bedingung, dass es nachmittags eine möglichst verpflichtende Weiterbildung für die Pädagog:innen/Ausbilder:innen gibt und abends eine Veranstaltung für die Erziehungsberechtigten. Die einzelnen Workshops, in denen immer ein ganzer Jahrgang zusammengefasst wird (bis zu 100 Schüler:innen/Lehrlinge), folgen jeweils einem Thema: In den ersten Klassen geht es um Mobbing, in den zweiten um Körperbild und Essstörungen, in den dritten um Handysucht und in den vierten um Leistungsdruck und Prüfungsangst. In den Oberstufenklassen steht in den fünften das Thema Sucht mit dem Schwerpunkt Alkohol auf dem Programm, in den sechsten geht es um Depressionen, in den siebenten um Suizidalität und in den achten Klassen um Ängste. Mit den mental health days möchten wir jedes Jahr wiederkommen. Dementsprechend wachsen die Kinder/jungen Erwachsenen von einem Thema ins nächste. Bei den Pädagog:innen und Erziehungsberechtigten stehen die Themen Self Care und Abgrenzung im Zentrum der Impulse. Die einzelnen Workshops werden in Doppelconference moderiert. Jeweils von einer Fachexpert:in zusammen mit einer Erfahrungsexpert:in aus der Welt des Journalismus, der Kunst oder ähnlichen Branchen. Zudem gibt es eine dritte Person, die live zum Geschehen ein Graphic protocol erstellt, das als Geschenk in der Schule bleibt. Die Partizipation der Schüler:innen/Lehrlinge, genauso wie die der Pädagog:innen und Erziehungsberechtigten, erfolgt mittels der interaktiven App »mentimeter«. Die so zustande kommenden Begriffswolken oder auch Umfrageergebnisse bewähren sich sehr. Denn anders als bei Sesselkreisen oder anderen Methoden der Partizipation funktioniert mentimeter anonym und daher auch für Leisere, Stillere und Außenseiter:innen, die das, was sie ins Handy oder ins Tablet eintragen, genauso gewertet auf den Projektionsflächen sehen, wie die Beiträge der lauteren »üblichen Verdächtigen«.
Gegliedert werden die einzelnen Workshops darüber hinaus durch eigens hergestellte und altersgerecht gestaltete Videos und Folien zu den acht Themen beziehungsweise für die Pädagog:innen- und Elternmodule. Alle Schüler:innen/Lehrlinge erhalten zudemeinen Flyer mit den Kontaktdaten zu den wichtigsten Hilfseinrichtungen des jeweiligen Bundeslandes, die anonym und kostenlos erreichbar sind.
Sämtliche Unterlagen, die im Rahmen der mental health days verwendet werden, sind in Abstimmung mit unserem wissenschaftlichen Beirat erarbeitet und von diesem geprüft. Bis zum Sommer 2026 wird außerdem die LMU München die Wirkung der mental health days wissenschaftlich evaluieren.
Der Vollständigkeit halber sei schließlich noch die wissenschaftliche Studie erwähnt, die im Nachklang zu den mental health days von Schüler:innen und Lehrlingen ausgefüllt wird. Diese Studie umfasst etwa 50 Fragen und untersucht die Wechselwirkung von Medienkonsum und psychischem Wohlbefinden. Die Ergebnisse werden alljährlich am Blue Monday, dem dritten Montag im Januar, von den Autoren der Studie, Tobias Dienlin (Uni Zürich), Paul Plener (MedUni Wien) und VsUM – gemeinnütziger Verein zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien, präsentiert. Allein im Kalenderjahr 2024 haben 14.500 junge Erwachsene einen solchen Fragebogen ausgefüllt. Damit ist die alljährlich durchgeführte mental health days-Studie eine der größten, wenn nicht die größte Studie zu diesem Themenkreis. Der Fragebogen ist vom Ethikrat der Uni Wien geprüft.
Die mental health days folgen zudem einem strengen Kinderschutzkonzept, das seit Beginn des Projekts ständig weiterentwickelt wird und von allen Mitarbeiter:innen verpflichtend akzeptiert werden muss – bis hin zur Strafregisterbescheinigung. Wir bitten jede Schule im Nachklang zu den mental health days um deren Evaluierung. Und wir interviewen auch in jeder Schule Teilnehmer:innen. Die Rückmeldungen sind durchweg positiv.
In diesem Sommer haben wir darüber hinaus auch einen Jugendbeirat initiiert, der ebenfalls die präsentierten Folien in Art und Aufmachung kommentiert und mit uns zusammen weiterentwickelt hat. Jede Benotung, jede Bewertung sollte grundsätzlich immer auch daraufhin überprüft werden, welche Auswirkung diese auf das psychische Wohlbefinden der Schüler:innen, Lehrlinge, aber auch der Pädagog:innen hat. Psychisches Wohlbefinden sollte idealerweise ein integraler Bestandteil all unseres Handelns sein.
Mittlerweile haben wir auch Anfragen von Bildungseinrichtungen aus Ungarn, Deutschland und Liechtenstein zu den mental health days erhalten. Momentan müssen wir aber erst einmal sehen, dass wir sie flächendeckend in ganz Österreich anbieten können.
Golli Marboe, Journalist, Dozent, Initiator der mental health days
Von Golli Marboe, Nr. 157 aus infodienst - Das Magazin für kulturelle Bildung