ORF ohne Visionen und Ziele?

ORF ohne Visionen und Ziele?

Warum wird seinen eigenen Programmangeboten so wenig vertraut, dass der ORF eine Agentur zur Imageverbesserung sucht? Ein Gastkommentar.

Von Golli Marboe, Erstveröffentlichung: Die Furche am 29. September 2022

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat angekündigt, den Textumfang auf orf.at zu halbieren. Damit kommt Bewegung in die Debatte zwischen den Zeitungsverlegern, denen vor allem das umfängliche, gebührenfinanzierte Online-Angebot des ORF ein Dorn im Auge ist, und der öffentlich-rechtlichen Anstalt.

Das ist aber bei weitem nicht der einzige Diskussionspunkt. Im Standard konnte man dieser Tage lesen, dass der ORF aufgrund sinkender Vertrauenswerte eine Agentur sucht, um eine Imagekampagne gegen stetig fallende Vertrauenswerte zu starten.

Warum wird den Programmangeboten des ORF offensichtlich immer weniger vertraut? Liegt es an den Covid-Maßnahmen-Gegner(inne)n, die sich mit ihren Positionen im ORF nicht genug wiederfinden? Auch wenn diese Bevölkerungsgruppe besonders laut in Erscheinung tritt – die Covid-Berichterstattung im ORF mit Einschätzungen von Fachjournalist(inn)en wie Elke Ziegler in den Radiojournalen, Günther Mayr in den TV-Nachrichten oder auch Barbara Stöckl im Hauptabend war ausgewogen, wissenschaftlich fundiert und dazu angehalten, die Rezipient(inn)en zu ermächtigen, auf Grundlage der kommunizierten Informationen eigene Positionen zum Thema zu beziehen.

Die Genannten verkörpern geradezu das, was einen öffentlich-rechtlichen Sender glaubwürdig macht: kuratiertes Fachwissen präsentieren und eben keine Verkündigung eigener persönlicher Positionen. Hier hat sich der ORF wohltuend von anderen Anbietern unterschieden und damit deutlich gezeigt, wo der Qualitätsunterschied zu Servus TV, oe24 oder anderen Meinungsmedien sein kann.

Aber warum macht sich der ORF dann in anderen Programmen mit diesen Medien sogar gemein? Was ist davon zu halten, dass sich der ORF mit einem Sender, der Covid-Maßnahmen-Gegnern über Monate eine übergroße Plattform geboten hat, die Sportrechte für die Formel-1-Rennen teilt? Oder in Zeiten der Klima- und Energiekrise eine 90-minütige Produktion des Red-Bull-Medienhauses (zu dem auch Servus TV gehört) über eine Flugshow in Zeltweg ausstrahlt, ohne dass in dieser mit Product-Placement vollgestopften „Dokumentation“ auch nur eine kritische Stimme zu Wort kommt? Eigentlich ein No-Go für ein öffentlich-rechtliches Medium.

Liegt der Verlust an Glaubwürdigkeit des ORF an den vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmenbedingungen, die die digitalen Möglichkeiten des ORF einschränken? Natürlich sind die bestehenden Regeln völlig aus der Zeit gefallen; aber immer dann, wenn der ORF allen gesetzlichen Hindernissen zum Trotz Lösungen findet, wie bei der „ZiB 100“ oder der „ZiB“ auf TikTok, dann vertraut ihm auch das junge Publikum.

Der ORF sollte nach Wegen suchen, sein Programmangebot auf legale Art in den digitalen Raum zu bringen. Warum laufen die ganze Nacht lang Wiederholungen, statt „schräge“, innovative, für TV vielleicht sogar unpassende Formate auszustrahlen, die dafür aber für eine digitale Plattform wie das höchst erfolgreiche Funk.net von ARD und ZDF von Interesse sein könnten? Das würde ein glaubwürdiges Bemühen um ein junges Publikum zeigen, das sich zu Recht vernachlässigt fühlt.

„In diesen Zeiten braucht das Land ein

verantwortungsvolles‚Trägermedium‘,

das seine Glaubwürdigkeit durch

Programminhalte lebt und nicht durch

Behauptungen einer Marketingagentur.“

Andererseits sollten ORF-Journalist(inn)en in den sozialen Medien nicht mit eigenen privaten Accounts zu gesellschaftspolitischen Fragen präsent sein, denn die Verwechselbarkeit ist groß, dass die Privatmeinung eines ORF-Journalisten für die offizielle Berichterstattung des ORF gehalten wird. Liegt der Mangel an Vertrauen in den ORF daran, dass kaum Visionen, so wenige inhaltliche Ziele zu erkennen sind?

Vielleicht wäre auch der generationenbedingte anstehende Personalbedarf im ORF (es sollen rund 500 neue Mitarbeiter(innen) aufgenommen werden) Anlass für einen öffentlichen Diskurs darüber, wie zeitgemäßer Journalismus aussehen sollte. Gerade in Zeiten der Krise braucht das Land ein verantwortungsvolles „Trägermedium“, das seine Glaubwürdigkeit durch Programminhalte lebt und nicht durch Behauptungen einer Marketingagentur. Schade ums Geld.

Der Autor ist Obmann des „Vereins zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien“.

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