Der Zweck heiligt die Mittel nicht

Der Zweck heiligt die Mittel nicht

ORF feierte seine „Hilfsbereitschaft“ in einer Spendengala – trotz Lockdowns. Derweil gibt „Servus TV“ Impfgegnerinnen besonders viel Bühne. Beides ist fragwürdig und ein Kontrast zur Pandemieberichterstattung – gerade des ORF. Ein Gastkommentar.

Von Golli Marboe, Erstveröffentlichung: Die Furche am 09. Dezember 2021

Licht ins Dunkel?

Soll die öffentliche Darstellung von „Mildtätigkeit“ die Art sein, wie man in einer liberalen Demokratie mit Bedürftigen umgeht? (Altkanzler Schallenberg bei der „Licht ins Dunkel“- Gala 2021)

Foto: APA / BKA / Andy Wenzel

Die Aktion „Licht ins Dunkel“ ist seit Jahren unter Mitwirkenden wie unter „Betroffenen“ umstritten. Die Diskussion rund um die TV-Gala in Pandemiezeiten bringt diese Auseinandersetzung nun auch in eine breite Öffentlichkeit: Heiligt der Zweck die Mittel? Ist es tatsächlich nötig, Jahr für Jahr eine neue Rekordsumme für „Bedürftige“ zu sammeln? Soll die damit einhergehende öffentliche Darstellung von „Mildtätigkeit“ und salbungsvollen Worten die Art sein, wie man in einer liberalen Demokratie mit dieser Bevölkerungsgruppe umgeht?

Eine Aktion wie „Licht ins Dunkel“ müsste doch als Allererstes der Idee einer inklusiven Gesellschaft folgen. Wenn man aber die Gäste einer solchen Gala, vom Bundespräsidenten abwärts, dazu nötigt, in den süßlich-kitschigen Ton der ORF-Unterhaltungsprogramme einzustimmen, dann vertieft sich ein Riss in der Gesellschaft. Dann polarisiert man, statt zu verbinden. Und vor allem: Warum müssen all diese Persönlichkeiten in Pandemiezeiten auch noch vor Ort ins Studio von „Dancing Stars“ kommen? Haben es denn die Egos der Verantwortlichen dieser Gala wirklich nötig, die eigene Bedeutung mit dem „Wir rufen und alle kommen“ zu unterstreichen? Die O-Töne aus der Welt der Politik hätten wohl auch per Zuspielung in die „Licht ins Dunkel“- Gala eingebaut werden können.

Müsste man als journalistisches Medium solche Gäste nicht eher kritisch befragen: Wie kann es in einem reichen Land wie Österreich sein, dass Barrierefreiheit auch im Jahr 2021 immer noch nicht zu hundert Prozent besteht? Wie kann es sein, dass Firmen sich von ihrer Verpflichtung, behinderte Menschen in ihre Betrieben aufzunehmen, einfach freikaufen? Wie gehen wir in unserer Gesellschaft mit „Außenseiterinnen“, mit „Andersdenkenden“ ganz grundsätzlich um? Wie das gelingen kann, zeigt eine andere Abteilung des ORF in den letzten Monaten in beispielhafter Weise: Die Wissenschaftsredaktion des ORF verfolgt keine eigenen Zwecke. Die Journalistinnen informieren auf Grundlage belastbarer Daten. Sie folgen Fakten und liefern damit einen Beitrag zur Ermächtigung der Rezipientinnen. Die Zuseherinnen werden mit belegbaren Informationen versorgt, die von der überwältigenden Mehrheit an Wissenschaftern auf der ganzen Welt geteilt werden.

“Die Wissenschaftsredaktion des ORF geht in der Pandemieberichterstattung nicht in die Falle, mit Emotionen vielleicht mehr Quote zu erzielen.”

Auch der immer wieder zu hörende Vorwurf, dass die Journalistinnen des ORF „mit denen da oben verhabert“ wären, lässt sich leicht widerlegen. Denn neben den Journalistinnen aus der Wissenschaftsredaktion stellen die Kolleginnen im „Morgenjournal“, in der „Zeit im Bild“, im „Report“ … den Ministerinnen oder den verantwortlichen Behörden zweifelsfrei kritische Fragen. Darüber hinaus beschreiben die ORF-Korrespondentinnen die Covid-Lage in anderen Ländern, wo man der Pandemie mit anderen Methoden begegnet als hierzulande. So wird der Blick für uns Bürgerinnen erweitert, und wir können aus den persönlichen „Blasen“ zumindest ein wenig entkommen.

Denn die Emotionalisierung des Themas – insbesondere in Sozialen Medien – spaltet und macht Angst. Die ORF-Wissenschaftsredaktion geht nicht in diese Falle, mit Emotionen vielleicht mehr Quote zu erzielen.

Eine der wichtigsten Aufgaben einer Journalistin besteht in der Auswahl, ob eine Information relevant genug ist, berichtet zu werden. Der in Salzburg (dem Land mit den schlimmsten Covid-Zahlen) ansässige Privatsender Servus TV macht das nicht: Dort wird der Begriff der Meinungsfreiheit missverständlich interpretiert. Der Sender wurde zum Sprachrohr der Covid-Impf-Gegnerinnen. Servus TV folgt dabei dem Phänomen der false balance, „falscher Verhältnismäßigkeit“. Man stelle sich eine Gruppe mit 97 Wissenschafterinnen vor – und eine zweite mit drei Expertinnen. Nun lässt man aus jeder der beiden Gruppen einen Studiogast zu Wort kommen und spricht von Pro und Kontra. In Wahrheit ist das nur schlechter Journalismus. Da sollte man sich doch eher bei „Mayrs Magazin“, „Fannys Friday“, den Wissenschaftsformaten auf Ö1, science.orf.at oder bei „Stöckl live“ informieren, um dann zu eigenen Positionen zu finden.

Weder bei Servus TV – indem man den CovidImpf- Gegnern einen überproportionalen Raum der Darstellung bietet – noch bei der ORF-Unterhaltung – wenn man die Politprominenz im Studio „antanzen“ lässt, um ein längst veraltetes Bild von gesellschaftlicher Solidarität und Hilfsbereitschaft zu verbreiten – heiligt der Zweck die Mittel!

Der Autor ist Obmann des „Vereins zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien“ (VsUM) und Mitglied des ORF-Publikumsrates (nominiert vom Neos Lab).

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