Textentwurf “Zwischenruf” für Oe1

Textentwurf “Zwischenruf” für Oe1

Blogeintrag von Golli Marboe, 17. August 2021

Es scheint die Sonne, man radelt durch die Stadt, vor der Votivkirche sitzen die Studentinnen im Park, beim Naschmarkt riecht es nach tausend Gewürzen und Musik klingt aus dem einen oder anderen Lautsprecher.

Alles scheint perfekt. Die Leichtigkeit des Lebens, das Unterwegs sein zu Zielen, die man vielleicht noch gar nicht kennt – aber trotzdem ganz bestimmt erreichen wird. Gerade wenn die Sonne scheint.

Für depressive Menschen, ganz besonders für viele junge aber schauen gerade solche Sonnentage ganz anders aus. Der Anblick von Fröhlichkeit und Zuversicht lässt sie noch einsamer werden. Sie finden im Leben keine Orientierung.

Ihre Traurigkeit verhindert es das wahrzunehmen, was sogenannte Gesunde dazu nützen, um Lebenskraft zu tanken.

Die meisten Suizide finden weder im dunklen, grauen Herbst, noch im familienintensiven weihnachtlichen Rahmen statt; sondern im Mai. Dann fühlen sich einsame, depressive, suizidale Menschen tatsächlich als Außenseiter.

Während der Pandemie waren wir alle gemeinsam „eingesperrt“ im Lockdown. Nun mit der Impfung teilt sich die Gesellschaft so wie in einem Mai in jene, die wieder Zuversicht und Freude erleben, und andere, die sich noch einsamer fühlen.

Diese tatsächlich nennenswerte Gruppe von Außenseiterinnen –so eine Minderheit sind depressive und suizidale Menschen nämlich gar nicht; denn Immerhin nehmen sich in Österreich täglich drei bis vier Menschen das Leben – brauchen Ansprache. Keine Ansprache mit Vorwürfen oder Beschreibungen, wie toll alles sei, weil ja die Sonne scheint.....und man möge doch einfach die Augen öffnen!

Nein – eine Ansprache, die den anderen so sein lässt, wie er oder sie sich wahrnehmen. Einsam, traurig, verzweifelt, perspektivenlos. Begriffe, wie Trost, vor allem aber wie Hoffnung auf einen andere Seelenzustand.

Das ist die Ansprache, die wir führen müssen. Es hat sich noch niemand je das Leben genommen, weil man gefragt hat, ob er oder sie über Suizid nachdenken. Aber viele Suizidversuche konnten verhindert werden, weil man begonnen hat über Traurigkeit, über Sorgen, über Depression und über psychische Gesundheit zu sprechen.

Die Seele des Menschen. Um die geht es doch. Nicht um eine abrechenbare Leistung, die dann zu irgendwelchen Ansprüchen berechtigen mag. Es geht um die Seele, um diese unbeschreibliche und so freie Einzigartigkeit, die jeden einzelnen Menschen ausmacht.

Wir sind eben keine Automaten, sondern wir besitzen die Freiheit dieses Leben zu genießen, aber eben auch zu erleiden. Wer die Fähigkeit besitzt Schönes zu erkennen, der wird auch Abgründe kennen lernen. Freiheit bedeutet beides zu spüren. Nur dumpfe einfache und fantasielose Menschen sind immer glücklich. Der suchende, der bewusste Mensch wird immer wieder in „Löcher“ in Depression verfallen. Dann braucht er andere, die dabei helfen, die Hoffnung wieder zu finden. Die Hoffnung auf Glaube und Liebe. Die Hoffnung, dass unsere Seele eben ein Geschenk der Schöpfung, ein Geschenk Gottes ist.

Und nicht zuletzt, dass wir all jene, die vorausgegangen sind in irgendeiner Form dann auch wieder sehen. Und jene, die sich suizidiert haben dann hoffentlich weniger traurig.

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Leitfaden zur Berichterstattung über Suizid

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Stift Seitenstetten, Golli Marboe, Ada Kaleh