„Ich habe meinen Sohn verloren“

„Ich habe meinen Sohn verloren“

Wie geht es Eltern, deren Kind sich das Leben genommen hat? Journalist Golli Marboe spricht im Interview mit dem Rupertusblatt vom Schlimmsten, was einer Familie passieren kann und dem verschwiegenen Thema Suizid.

Golli Marboe im Gespräch mit David C. Pernkopf, Erstveröffentlichung: RUPERTUSBLATT am 17. März 2022

© Iris Haschek

Rupertusblatt: Das Schlimmste, das einem Vater passieren kann, wurde für Sie Realität. Wie veränderte der Tod des Kindes Sie und Ihre Familie?
Golli Marboe: Ich bin nicht schuld, aber mitverantwortlich am Tod meines Sohnes. Wenn wir auf der Straße eine Umfrage machen würden, was denn das Wichtigste oder das Ziel in ihrem Leben sei, dann würde die meisten sagen: das Wohl ihrer Kinder. Von diesem Ziel kann ich nicht mehr sprechen, da ich nun auch den Todestag meines Sohnes kenne. Ich werde mein Leben lang daran „kiefeln“.

RB: Woher kam Kraft um damit umgehen zu können?
Marboe: Ich hatte die Gnade, dass ich nicht wütend war. Weder auf Tobias noch auf den lieben Gott. Wir haben als Personen einen freien Willen. Dieser ist zu akzeptieren. In seinem Abschiedsbrief heißt es, dass er nun von einem anderen Ort auf seine Nichte aufpassen werde. Das lässt für uns den Schluss zu, dass es für Tobias nicht vorbei war. Nur auf dieser Welt und in diesem Leben konnte er nicht mehr weitermachen. Das war auch irgendwie ein Trost.

RB: Gibt es auch Hader, Schuldgefühle?
Marboe: Ich hadere damit, dass wir in unserer Gesellschaft so wenig über psychische Erkrankungen wissen. Wenn sich mein Sohn beim Schifahren das Bein bricht, dann bring ich ihn auf die Unfallstation. Wenn jemand chronisch traurig ist oder sich zurückzieht, dann sagen wir: das wird schon wieder und meinen, damit muss jeder selber zurechtkommen. Wir machen einen Unterschied zwischen psychischen und physischen Krankheiten. Über Psychopharmaka darf man nicht sprechen, aber Insulin bei Blutzucker ist kein Problem. Das gesellschaftliche Klima zielt darauf ab, wie man zu funktionieren hat, nicht, wie es Menschen besser geht. Wir müssen auch das Selbstverständnis von Männern anfragen, die sich nicht helfen lassen oder glauben, keine Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen.Drei Viertel aller Suzide sind leider von Männern. Es hat mich sehr nachdenklich gemacht, dass mein Therapeut gesagt hat, Ihr Sohn könnte mit richtiger Medikation noch leben. Hier müssen wir also ansetzen, indem wir das Tabu und die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten aufbrechen.

RB: Wie können Eltern mit dem Thema leben?
Marboe: Mein Sohn hat mich am Tag bevor er starb noch innig umarmt und mir gesagt: Pass auf, dass niemand so traurig wird, wie ich. Es war in Wahrheit ein Abschied, aber das habe ich erst später begriffen. Ich will auch Solidarität mit Hinterbliebenen zeigen. Ich glaube an den so genannten „Papageno-Effekt“, der an der Meduni Wien entdeckt wurde: Durch angemessene Berichterstattung kann man einen Beitrag zur Enttabuisierung von Angst, Depression und Suizid leisten. Wie Papageno in der Oper von Mozart entdeckt, dass es Hoffnung gibt, so sollen auch Menschen Hilfe zur Selbsthilfe entdecken. Wir brauchen noch mehr Offenheit beim Thema Suizid. Je mehr man darüber spricht, desto eher könne man Menschen helfen, die sich in einer psychischen Krise befinden. Wir müssen Depression ernstnehmen.

RB: Was hilft Trauernden und was nicht?
Marboe: Das Wichtigste ist, dass man sich meldet und konduliert. Wer glaubt, er konduliere nicht, weil ihm die Worte dazu fehlen, riskiert, die Beziehung zu verlieren. Niemand verlangt eine Erklärung. Aber es muss ehrlich sein. Es ist ganz wichtig, Trauernden das Gefühl zu geben, dass man weiß, was passiert ist und zeigen, sie sind nicht allein. Wir können für andere da sein, durch kleine Zeichen und Worte. Mein Onkel Peter kochte für uns in dieser schweren Zeit jeden Tag Suppe und stellte sie uns vor die Tür. Damit drückte er aus: Ich bin da für euch, wenn ihr etwas braucht.

RB: In schwierigen Zeiten oder bei Krisen– was gibt Zuversicht?
Marboe: Vieles kann auf dieser Welt und in dieser Zeit nicht mehr heil werden. So ist es die Hoffnung für mich, dass es mit diesem Leben nicht vorbei ist und ich meinen Buben wieder sehe.

Zurück
Zurück

„Einfach nur da sein“

Weiter
Weiter

Entscheiderin über 57 Millionen Euro Medienförderung pro Jahr gesucht