"Jeder von uns hat irgendein Binkerl zu tragen"

"Jeder von uns hat irgendein Binkerl zu tragen"

Golli Marboe hat sich nach dem Freitod seines Sohnes zur Aufgabe gemacht, offen über das Thema Suizidalität zu sprechen.

Golli Marboe im Gespräch mit Christoph Klausner, Erstveröffentlichung: meinbezirk.at am 17. März 2022

BEZIRK KUFSTEIN. "Ich kann so gut verstehen, wie es dir geht, weil in meiner Familie hat sich meine Mutter das Leben genommen" - das ist nur ein Beispiel von vielen persönlichen Beileidsbekundungen, die an Golli Marboe nach dem Selbstmord seines Sohnes herangetragen wurden. Alle endeten aber immer mit dem Satz: "Aber bitte sag's niemanden". Ein großer Irrtum, wie Marboe mittlerweile weiß. Seit diesem tragischen Ereignis setzt sich der Journalist, Autor, Film- und TV-Produzent dafür ein, dass man viel mehr über psychologische Probleme - und vor allem über Selbstmordgedanken - spricht. "Jeder habe nämlich irgendein Binkerl zu tragen", so Marboe. Am Dienstag, den 22. März hält er dazu auch einen Vortrag im Tagungshaus Wörgl.

Der "Papageno-Effekt"

© Iris Haschek

Psychologische Probleme, Depressionen und Suizidalität seien in unserer Gesellschaft leider nach wie vor ein Tabu, so Marboe. Auch in den Medien werde dieses Thema oft vermieden. Dadurch würden sich Betroffene oftmals noch mehr als Außenseiter fühlen.

"Die Anzahl der psychischen Erkrankungen nimmt immer mehr zu, aber die Kommunikation über dieses Thema ist noch lange nicht so weit",

betont Marboe. Das Thema würde aufgrund des vielbekannten "Werther-Effekts" nicht aufgegriffen. Dieser besagt, dass reißerische Artikel weitere Menschen in den Freitod treiben könnte. Mittlerweile bestätigen allerdings wissenschaftliche Studien, dass eine angemessene und achtsame Berichterstattung eine präventive Wirkung hat und somit Selbstmordgedanken verringert werden können. Man spricht vom "Papageno-Effekt". Wenn man beispielsweise erkläre, wie man mit Depressionen umgehen kann, dann würde das betroffenen Personen signalisieren, dass man sich ihnen auch annimmt. Weiters könnten auch Beiträge über Personen, die einst unter psychischen Problemen gelitten haben, nun aber wieder voller Lebensfreude sind, dazu beitragen, dass psychisch Erkrankte wieder Hoffnung schöpfen können. Im besten Fall würden Betroffene dann auch Hilfe zulassen.

Die Gesellschaft muss sich verbessern

Marboe plädiert auch dafür, dass man physischen und psychischen Erkrankungen den gleichen Stellenwert einräumt. Dabei gehe es nicht nur um die Deckung der Behandlungskosten durch die Gesundheitskassen, sondern auch die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz von Depressionen. Bei Suizid spielen meist viele Faktoren zusammen. Diese verhindern oft, dass sich Betroffene öffnen können. Laut Marboe leben wir einerseits in einem gesellschaftlichen und politischen Klima, indem sich alles um den "Mehrheitsgeschmack" drehe und indem der Fokus sozusagen immer nur auf den Siegern liegt. Auch das falsche Männerselbstverständnis, welches keine Schwächen erlaubt, müsse korrigiert werden. Vor allem sollte man sich aber auch trauen, über Suizidalität zu sprechen bzw. auch nachzufragen.

"Es hat sich noch nie jemand das Leben genommen, weil man gefragt hat, ob jemand Suizidgedanken hat",

betont Marboe. Diese Scheu müsse man ablegen. Auch Trauernde sollten nicht ins Schweigen verfallen. Gespräche würden nämlich helfen, das Trauma zu verarbeiten und Energien freizusetzen. Dieser Schritt würde aber wesentlich leichter fallen, wenn - wie eingangs bereits erwähnt - Suizidalität nicht mehr als Tabuthema angesehen wird. (klau)

Diese Umfrage ist seit dem 10. April 2022 um 00:00 Uhr beendet.

Sreenshot: https://www.meinbezirk.at/kufstein/c-lokales/jeder-von-uns-hat-irgendein-binkerl-zu-tragen_a5214109

Wenn du Hilfe brauchst oder jemanden kennst, der dir gegenüber Suizidgedanken geäußert hat, dann wende dich bitte an die folgenden Stellen:

Telefonseelsorge
Tel.: 142, täglich 0-24 Uhr
www.telefonseelsorge.at

Kriseninterventionszentrum
Tel.: 01/406 95 95, Montag bis Freitag 10 bis 17 Uhr
www.kriseninterventionszentrum.at

Marboe erinnert sich an eine Aussage seines Sohnes, die ihn im Nachhinein schaudern lässt. Hätte er es kommen sehen müssen? Hat er Mitverantwortung? All diese Fragen quälten Marboe lange Zeit. Im Buch "Notizen an Tobias" beschreibt Marboe, wie er mit diesem Schicksalsschlag umgegangen ist.

Foto: Residenzverlag

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